Off-Wave und Get-Together

Das Projekt ‚Zähne Putzen‘ organisierte in Zusammenarbeit mit der Plattform #By2020WeRiseUp im November 2019 das erste Off-Wave Get-Together in der Kommune Lebensbogen bei Kassel. Dieses Event war eingebettet in die Off-Wave, die ebenfalls in Kooperation mit #By2020WeRiseUp von ‚Zähne Putzen‘ zwischen den ersten beiden Aktionswellen ausgerufen wurde: Ein Angebot die überwiegend tauschlogikfreien und unkomplizierten Strukturen unseres Gemeinschaftsnetzwerks zu nutzen, um sich explizit Zeit für das zu nehmen, was in der Aktionszeit zu kurz gekommen ist oder für Themen die (neu) entstanden sind.

Das Get-Together in Kassel

Vom 14. – 24. November haben wir miteinander geforscht und gefühlt, füreinander gesorgt und soweit es möglich war, kollektive Fürsorge gelebt. Wir haben Räume des Zuhörens, Teilens und Vertrauens gestaltet. Wir haben geweint, gelacht und ausgeruht. Es ist schwer, die Intimität und Vielschichtigkeit vieler Momente in knappen Worten wiederzugeben, aber vielleicht gelingt es ja, das, was in uns nachhallt, hier festzuhalten. Über die zehn Tage gab es ein vielfältiges Programm an Workshops, Arbeitsräumen und selbstorganisierten Zeiten. Anstatt die einzelnen Workshops im Detail zu beschreiben, möchten wir lieber unsere Kernerkenntnisse und weiterführenden Fragen mit euch teilen.

Fürsorge und Achtsamkeit sind politisch

In den allermeisten gesellschaftlichen Kreisen finden Kommunikation, Achtsamkeit und das Teilen von Emotionen keinen großen Raum. Ähnlich ist es auch in links-aktivistischen Gruppen. Oft fallen diese Themen hintenan, die Zeit sei zu knapp, die Menschen zu erschöpft oder andere Dinge sind vermeintlich wichtiger. Wir kümmern uns – wenn überhaupt – als Einzelne um unsere Themen oder sie werden als Aufgaben an Teams verteilt, die sich dann darum kümmern sollen. Meist übernehmen dann Frauen, inter-, transgeschlechtliche und nicht-binäre Menschen diese Rollen.

In den seltensten Fällen geschieht Hilfe gemeinschaftlich. Die wenigsten haben erlebt, wie sie anders mit sich selbst und miteinander umgehen können – und wie Verantwortung dafür übernommen werden kann. Indem wir diese Themen bewegt haben, sind wir zu zwei Essenzen gekommen:

  1. Self-care ist politisch. Solange der Gegenstand, der uns belastet, also Dinge wie Umweltzerstörung, Polizeigewalt, gesellschaftliche Diskriminierung etc. politisch sind, ist es auch ein politischer Raum, wenn wir uns mit der Aufarbeitung von Gefühlen, Erlebnissen und Traumata, die daraus resultieren, beschäftigen oder auch einfach nur davon erholen wollen.

  2. Es braucht neue Strukturen von collective care. Das Individuum sollte nicht allein stehen mit seinen Themen, es braucht tragende, unterstützende und auffangende Strukturen und eine größere Awareness aller, damit Fürsorge für andere nicht zu einer Dienstleistung und/oder Belastung wird, die nur wenigen übernommen wird.

Wie diese Strukturen konkret aufgebaut werden könnten, haben einige von uns begonnen zu überlegen.

Auch die auf Leistung basierenden Denkmuster, die sich im Aktivismus oft finden lassen, möchten wir überwinden. Denn oft reproduzieren wir das, was wir an der ‚Gesellschaft‘ kritisieren in unseren eigenen Kreisen. Dabei braucht es mehr Räume für innere Transformation und das nicht ‚nur‘ für Menschen mit ‚hohem‘ Leidensdruck.

Erholung schafft Auseinandersetzung

Der Schutzraum des Get-Togethers und seine Möglichkeit der Erholung führte bei vielen Teilnehmenden und teilweise auch im Organisationsteam, zum Ausdruck von sonst nicht präsenten inneren Themen und Verletzungen. Das Get-Together wurde zum unterstützenden Raum der gemeinsamen Fürsorge und des Lernens durch und mit den persönlichen Erfahrungen. Das Teilen dieser Erfahrung hat wieder mal gezeigt: Wir sind nicht allein mit unseren Themen.

Wir sind nicht allein

Neben dem fantastischen Lernraum, war das Get-Together auch ein Raum zum Kennenlernen und Vernetzen. Dabei merkten wir einmal mehr – wir müssen das Rad nicht neu erfinden und das Projekt, das wir vielleicht schon lange suchen, gibt es bereits. Doch viele Gruppen wissen nicht voneinander und nutzen verschiedene Begriffe für das, was sie tun. Wir nennen es nachhaltigen Aktivismus, andere ‚Care Revolution‘ oder Nachbar*innenarbeit. Hier möchten wir noch mehr voneinander lernen; gerade auch in einem Sinne der Peer Education.

Von dem Prozess lernen

Durch das Get-Together haben wir alle viel gelernt. Die Organisation in einem relativ kurzen Zeitraum zu stemmen war herausfordernd und führte manche vom Orgateam an die Belastungsgrenze. Für kommende Veranstaltungen möchten wir uns daher mehr Zeit für die Organisation nehmen. Trotz oder auch wegen dieser Herausforderungen sind wir alle begeistert und dankbar für das, was entstanden ist. Wir sehen den Prozess und unsere Reflexion hier als Bereicherung und Potenzial weiter zu wachsen und gemeinsam wirksam zu sein.